
Stressfolgen und Traumata in der Körperarbeit – Teil II – Neurogenes Zittern – Text von Pilar Wagner
Stressfolgen und Traumata in der Körperarbeit – Teil II – Neurogenes Zittern
Text von Pilar Wagner
Wie bereits letztes Mal besprochen – setzen langanhaltender Stress- oder Trauma Situationen die Funktionen des Grosshirns (blau) und Zwischenhirn (Rot) teilweise oder ganz ausser Funktion:
Grosshirn (Neokortex) – Reguliert: Wahrnehmung, Sprache, Denken, Zeiterleben und Entscheidungsprozesse usw.
Zwischenhirn (Limbisches System) – Steuert die Emotionen und das Sozialverhalten.
Stammhirn (Reptiliengehirn) – Instinktive und impulsive automatische Reaktionen, wie Kampf, Flucht oder Erstarrung.
Das Stammhirn übernimmt mit seinen instinktiven Reaktionen die Regie. Aus diesem Grund können Therapien ohne Einbezug des Körpers oftmals nicht greifen. Der Schlüssel zur Auflösung eines Traumas liegt unter anderem im Stammhirn resp. im Nervensystem. Zu den elementaren Traumatherapie Grundlagen gehören in diesem Fall: Sicherheit, Entschleunigen, Ressourcen, kleinschrittiges Vorgehen, Beziehung/Containment usw. und vor allem Embodiment – sprich achtsame Körperwahrnehmung.
«Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.» (Zitat von Chr. Morgenstern)
Das Nervensystem reagiert zuerst auf Körperebene, wenn es zu sehr belastet wird. Beispielsweise mit: Zittern, Zähne klappern, Schüttelfrost oder Schwitzen, Hitzewellen im Körper, Übermässiges Gurgeln und Rumpeln im Bauch, immer wieder tief Atem holen müssen, Weinen oder Lachen, Mühe mit Nähe oder Distanz, erhöhter Puls usw. Erst später können dann noch weitere Symptomatiken dazukommen wie Verspannungen, Schlafprobleme, Appetitlosigkeit, Schmerzen jeglicher Art usw.
All die vorgenannten Erstreaktionen sind gut und wichtig. Sie bedeuten, dass Energie entladen wird. Der Körper besitzt eine ihm innewohnende Fähigkeit, seine Balance selbständig wieder zu erlangen. Dafür müssen wir ihm Zeit und die Möglichkeit geben diese hilfreichen Reaktionen zum Stressabbau vornehmen zu können.
In der Praxis ist mir aufgefallen, dass vielfach das unkontrollierbare Zittern sprich «neurogenes Zittern» Ängste auslöst. Aus diesem Grund möchte ich hier etwas näher auf den Nutzen für den Körper eingehen. Dieses unkontrollierbare Zittern tritt als Folge eines traumatischen Ereignisses oder Stress auf und ist nicht dasselbe wie ein pathologisches Zittern aufgrund eines Mangels oder Krankheit.
Gut zu sehen ist dieses neurogene Zittern im Tierbereich. So können sie beispielsweise beobachten, dass sobald der Löwe beispielsweise ein Tier erlegt hat. Die gesamte Herde nur ein paar Meter neben der Gefahr (Löwe) zum Stehen kommt, sich ausschüttelt (zittert), um dann gemütlich weiter zu grasen. Der Fluchtinstinkt wird nicht mehr gebraucht und durch das Ausschütteln/Zittern der vorangegangene Stress abgebaut.
Die Tatsache, dass auch Menschen eine Zitterreaktion haben, spricht dafür, dass derselbe Mechanismus zum Stressabbau ein Überlebensvorteil darstellt. Menschen haben dieselbe Reaktion auf eine wahrgenommene Bedrohung oder Gefahr. Der diesbezügliche Unterschied zwischen Mensch und Tier besteht darin, dass Tiere den angeborenen Mechanismus des neurogenen Zitterns nutzen, um die hohe biochemische und neuromuskuläre Ladung aus dem Körper abzuführen und damit eine spontane Erholung vom traumatischen Ereignis fördern. Wohingegen der Mensch dieses oftmals absichtlich versucht zu kontrollieren resp. zu unterbinden.
Dieser im Körper natürliche Regulationsreaktion wird von unserer Konditionierung oder Grosshirn unterbunden. Der Mensch hat in der Evolution den Neokortex entwickelt, welcher uns Meinungen und Wertungen erlaubt. Dieser ist jedoch in Hinsicht auf belastende Situationen nicht immer hilfreich. So wird beispielsweise Angst oft peinlich und als ein Zeichen von Schwäche empfunden, wodurch man versucht sichtbare Anzeichen Bsp. das Zittern, zu unterdrücken. Obwohl das Zittern als natürlicher Regulationseffekt helfen würde den aktivierten Kampf-/Fluchtimpuls zu unterbinden und die Balance wiederherzustellen, so dass posttraumatische Reaktionen reduziert würden.
In der Traumatherapie brachte die Erkenntnis über diesen natürlichen Körperimpuls (Zittern) beispielsweise die TRE© »Trauma Releasing Exercises « hervor. Dies sind eine Reihe einfacher Übungen, bei denen bestimmte Muskelgruppen im ganzen Körper gedehnt und angespannt, dass heisst in Stress versetzt werden. Die Übungen haben zum Ziel, neurogenes Zittern hervorzurufen, um Muster von tiefer chronischer Spannung zu lösen, welche im Körper zurückgehalten werden.
Begrüssen Sie das nächste neurogene Zittern, aufgrund dieser Erkenntnis, als hilfreiche Selbstregulation ihres Körpers.
Es sind die kleinen Dinge im Leben, die uns bewegen, unser Herz berühren und Mut machen nicht aufzugeben.
Neueste Kommentare